Liebe Leserinnen und Leser,
es ist Abend. Jesus hat sich mit seinen Jüngern in einem Haus in Jerusalem versammelt. Sie sitzen um einen schön gedeckten Tisch herum. Es gibt Brot und Wein, dazu Käse, Oliven und Feigen. „Setz dich doch zu uns“, sagen sie zu mir. „Hier ist jeder willkommen“. Ich nehme Platz und fühle mich so eingeladen, wie noch nie zuvor in meinem Leben.
Plötzlich steht Jesus auf. Er bindet sich ein Leinentuch um, gießt Wasser in eine Schüssel und fängt an, uns die Füße zu waschen. Irritiert sehen die Jünger einander an.
Ich weiß, dass dieses Ritual in ihrer Zeit völlig normal ist. Keiner von ihnen schämt sich dafür, die Füße gewaschen zu bekommen. Im Gegenteil. Wenn man den ganzen Tag in Sandalen unterwegs gewesen ist, ist es eine Wohltat, die Füße in das kühle Wasser halten zu dürfen. Aber so wollen die Jünger das nicht. Es gibt eine feste Ordnung, die besagt: Kinder waschen ihren Eltern die Füße. Sklaven ihren Herren. Und Schüler ihrem Lehrer.
Petrus spricht es schließlich aus: „Jesus, eigentlich müssten wir das für dich tun.“ Doch Jesus macht seelenruhig weiter. Bis alle Füße gewaschen und anschließend mit dem weichen Leinentuch wieder abgetrocknet sind. Auch meine. Als er fertig ist und die Schüssel wieder beiseitegestellt hat, sagt er: „So sollt ihr es ebenfalls machen. Dient einander. Und keiner von euch soll sich zu fein sein, dem anderen die Füße zu waschen.“
Danach beginnt das Essen. Das Brot ist köstlich. Und die Oliven noch viel mehr. Währenddessen muss ich an unsere heutige Zeit denken. „Was ist mit dir?“, fragt mich Jesus, der offensichtlich beobachtet hat, dass ich mit meinen Gedanken ganz weit weg bin.
„Ach, weißt du“, antworte ich, „das Waschen der Füße hat mich daran erinnert, wie viele Menschen in meiner Zeit sich gerade nach körperlicher Nähe sehnen. Sie wünschen sich so sehr, endlich wieder ihre Familien und ihre Freunde in den Arm nehmen zu können - ohne Angst, dabei das Virus weiterzugeben.“
„Berührungen sind sehr wichtig“, stimmt Jesus mir zu. „Sie können sogar Kranke wieder gesund machen. Und sie helfen einem, so manche Not durchzustehen.“
„Ist das auch ein Grund“, frage ich ihn, „warum du das eben gemacht hast? Hast du deine Jünger noch einmal berührt, weil du weißt, dass bald eine schwere Zeit auf sie zukommt? Auf sie und auf dich?“
Jesus nickt und schweigt einen Moment. Dann sagt er, ohne dass die anderen es hören können: „Ja, das ist auch ein Grund. In den nächsten Tagen werden sie sicherlich an diesen Abend zurückdenken. Und vielleicht werden sie dann das Wasser und meine Hände noch auf ihrer Haut spüren können.“ Während ich an meinem Becher nippe, kommt mir ein Gedanke: „Mir wird gerade bewusst“, sage ich, „dass es zwei verschiedene Arten von Berührungen gibt. Man kann einen Menschen zärtlich anfassen. Aber man kann auch seine Seele liebevoll berühren.“
„So ist es“, antwortet Jesus. „Bald werde ich eure Füße nicht mehr waschen können. Aber eure Herzen und Seelen kann ich weiterhin berühren. Und ihr könnt das auch füreinander tun.“
Eine gesegnete Passions- und Osterzeit wünscht
Ihre/Eure Pfarrerin Emilie Berreth
P.S.: Wer die Geschichte im Original nachlesen möchte, findet sie hier: Joh 13,1-19.
P.P.S.: In der Reihe „Ins Rampenlicht gerückt“ erzähle ich vom 19. Februar bis zum 02. April immer freitags noch mehr Abschnitte aus der Passionsgeschichte und nehme dabei vor allem Personen in den Blick, die nur am Rande erwähnt werden. Die Reihe ist auf unserer Homepage, auf unserem YouTube-Kanal sowie in ausgedruckter Form in der Liebfrauenkirche und in der Kirche in Schreufa zu finden.