Andacht

„In schwierigen Zeiten gibt es eine gewisse Pflicht zur Zuversicht!“ (Immanuel Kant)

Liebe Leserinnen und Leser,

diesen Satz von Immanuel Kant habe ich vor ein paar Tagen gelesen, und er lässt mich nicht los. Als ob das mit der Zuversicht so einfach wäre! Kriege, Klimakrise, politische Auseinandersetzungen, persönliche Sorgen – da kann die Zuversicht auch einmal kleiner werden oder ganz verloren gehen. Und Pflicht? Kann es wirklich eine Pflicht zur Zuversicht geben?

Der bedeutendste Philosoph der Aufklärung hätte diese Frage wohl bejaht, wenigstens ansatzweise. Im Mittelpunkt seines Nachdenkens stand die Mündigkeit des Menschen. Er ist frei in seinem Handeln, aber diese Freiheit ist nicht grenzenlos. Sie muss im Einklang stehen mit der Freiheit und der Würde anderer Menschen. Jede und jeder ist für ein Leben in Freiheit und Würde aller mit verantwortlich. Das ist in Kants Denken vernünftig und eine Verpflichtung, die Früchte tragen kann. Daran ändern auch schwierige Zeiten nichts. Darum kann der Philosoph von der „gewissen Pflicht zur Zuversicht“ schreiben.

Auch wenn ich nicht unbedingt von Pflicht sprechen würde, beeindruckt mich Kants positive Grundhaltung: Schwierigkeiten und Krisen nüchtern anschauen, sich dabei aber immer noch etwas Zuversicht bewahren. Nicht nur sich selbst, sondern auch die anderen im Blick haben. Wertschätzung und Herzlichkeit leben, wo andere streiten und sich voneinander abgrenzen. Auch in Auseinandersetzungen Verbindendes suchen. Und gleichzeitig eine klare Haltung einnehmen und Position beziehen. Sich offenhalten für die Möglichkeit einer Verbesserung oder für den guten Ausgang eines Konfliktes.  

Im Kirchenjahr begehen wir gerade die Passions- und Osterzeit. Passion bedeutet Leiden, aber auch Leidenschaft und Hingabe. Christinnen und Christen bedenken das Leiden und Sterben Jesu. Sie bedenken damit auch ihre eigenen leidvollen Erfahrungen im persönlichen und gesellschaftlichen Leben. Jesus ist dem Leid nicht ausgewichen. Er hat sich Menschen in leidvollen Situationen zugewandt. Als seine Leidenschaft für Gott und die Menschen ihn selbst in Leid und Tod führte, hat Gott ihn neu ins Leben geholt. Ostern. Auferstehung zu neuem Leben. Neue Hoffnung auch für uns Menschen.

Das ist mein Grund zur Zuversicht. Er liegt in meinem Glauben an Jesus Christus begründet und nicht in einer Pflicht. Aber er ist auch so etwas wie eine innere Verpflichtung, die ich eingegangen bin. Mit Jesus als Vorbild und im Vertrauen auf „Kraft von oben“ möchte ich auch leidenschaftlich für das Leben eintreten, wo ich gefragt bin. Im Einsatz für unsere Kirchengemeinden. Im Einsatz für eine offene und demokratische Gesellschaft. Mit kleinen Schritten für Umwelt- und Klimaschutz. Oder in den Beziehungen, in denen ich leben darf. Manches ist dabei schwierig und bringt mich auch einmal an meine Grenzen. Manches ist vergeblich. Aber ich erlebe es trotzdem: Gottes Leidenschaft für das Leben lässt mich und andere nicht unberührt. Leid und Tod, Ungerechtigkeit und Kriege haben nicht das letzte Wort. Ich bleibe zuversichtlich, ohne blauäugig zu sein. Das hoffe ich jedenfalls. Frei nach Kant: Auch in schwierigen Zeiten gibt es einen Grund zur Zuversicht!

Es grüßt Sie herzlich

Ihre Dekanin Petra Hegmann

Hegmann